Die Wochen bis zur Beisetzung

Am Montag fuhr ich zeitig zum Arzt. Ich holte mir nur einen Krankenschein und Beruhigungstabletten. Als ich wiederkam war Paul wach, aber sehr depressiv. Es saß vor der Kerze und sah das Bild an. Ich gab ihm eine Beruhigungstablette. Dann schlief er den halben Tag.

Vormittags fuhr ich mit den Schwiegereltern in das Bestattungsinstitut. Wir mussten viele Formalitäten klären. Ich hatte schon einen Entwurf für die Zeitungsanzeige gefertigt. Ich wollte, dass die Anzeige so schnell wie möglich in die Zeitung kommt. Ich wollte es nicht jedem einzeln sagen müssen. Wir suchten die Urne aus. Eine schwarze Urne mit goldener Rose.

Die ganze Zeit dachte ich daran, wo mein toter Mann jetzt war. Als der Herr von dem Bestattungsinstitut fragte, ob wir noch Fragen hätten, fragte ich, ob mein Mann noch hier sei und ich noch mal kurz zum Sarg gehen könnte. Wir vereinbarten einen Termin am nächsten Morgen.

Danach fuhren wir auf das Pfarramt .Ich wollte Lutz in das Grab seines Vaters beisetzen lassen. Sein Vater starb, als er 10 Jahre war. In die Grabstelle folgten dann beide Eltern seines Vaters. Wir pflegten das Grab seit die Mutter seines Vaters tot war. Wir hatten nicht darüber gesprochen wie und wo er bestattet werden wollte. Er hatte nur gesagt, er würde gern auf seinem eigenen Grundstück vergraben werden. Das geht aber nach den Gesetzen nicht. Einmal sagte er, er zieht nur noch ein Mal um. In den Hirschgrund. Dort ist das Grab seines Vaters. Dann bestellten wir die Blumen für die Urne. Ich suchte ein Gesteck mit weißen Rosen aus.

See

Am Nachmittag, es war immer noch strahlender Sonnenschein, setzte ich mich in den Garten. Meine Kollegin kam meinen Krankenschein holen. Dann kamen die ersten Nachbarn mit ernsten Gesichtern. Sie drückten ihr Beilleid aus. Ich sagte jedem, dass ich schon jahrelang Angst gehabt und befürchtet hatte, dass es so kommt.. Ich sagte auch, dass ich allein zurechtkomme.

Paul mähte den Rasen, weil sein Vater gesagt hatte, dass es noch mal vor dem Winter gemacht werden muss.

Ich fragte Paul, ob er mit zum Sarg gehen möchte. Er wollte sofort.

Hiersollte ein Bild von Paul am offenen Sarg im Trauerhaus, aber nach Rücksprache mit einigen Trauerbegleitern habe ich darauf verzichtet.
 

Am nächsten Morgen fuhren wir zum Beerdigungsinstitut. Wir hatten einen kleinen Abschiedsbrief geschrieben. Den wollten wir in die Anzugtasche stecken. Ich hatte ein paar letzte Rosen aus dem Garten abgeschnitten.

Lutz war in einem Raum in einem beleuchteten Glaskasten aufgebahrt. Ich war erst enttäuscht, dass er hinter Glas lag. Der Herr vom Bestattungsinstitut legte den Brief und die Rosen noch mit in den Sarg. Es wurde leise Musik angemacht. Wir setzten uns neben den Sarg. Nach langem Schweigen redeten wir mit ihm. Paul erzählte, dass die Nachbarn da waren. Wir blieben ca. eine Stunde. Ich fotografierte ihn nochmals.


Dann fuhr ich zum Fotograf und ließ die Bilder so schnell wie möglich entwickeln.

Nachmittag holte ich sie ab. Eine Kollegin traf mich auf der Straße. Sie starrte mich an als wäre ich tot. Dann fiel sie mir um den Hals und erklärte mir ihr Beileid. Es war mir unangenehm, denn es war eine ganz entfernte Kollegin.

Am Mittwoch war die Todesanzeige in der Zeitung. Jetzt kamen viele Bekannte aus der Umgebung. Seine Jugendfreunde, seine Schulkameraden. Die meisten weinten und waren fassungslos. Ich bekam die ersten Trauerkarten. Es wurde immer unheimlicher. Ich begann  langsam zu begreifen, dass es kein böser Traum, sondern bittere Realität war.

Ich schlief tagelang nicht oder nur ganz kurz. Mich interessierten keine Zeitung, kein Fernsehen. Ich suchte nach Lutz. Ich wollte ihn sehen. Ich holte alle Fotos raus. Tagelang sah ich hunderte Fotos an. Die Fotos vom Sarg standen auf dem Tisch. Dann sah ich alle Videos an. Mein Mann hatte zwar meistens selbst gefilmt, sprach aber oft dazu. Manchmal war er auch drauf. Ich war glücklich ihn zu sehen.

Wir hatten viel zu erledigen. Die Beisetzung musste mit dem Friedhof abgesprochen werden. Ein Redner wurde bestellt, kam und befragte uns zu Lutz. Ich sollte Musik für die Trauerfeier aussuchen. Ich nahm ein Stück, das zu unserer Hochzeit gespielt wurde. Die Träumerei. Dann  wollte ich noch einen Titel, der zu ihm passt. Da fiel mir auf Anhieb kein passender ein. Ich suchte tagelang auf allen CDs. Lutz war ein Liebhaber von Oldies. Hatte aber keine Lieblingsgruppe. Viele Titel, die er sehr mochte, waren zu fröhlich für die Beerdigung oder passten inhaltlich nicht. Ich suchte „Sounds of Silence“ von Simon and Garfunkel aus.

Die Blumen für die Beisetzung wurden bestellt. Ich war mehrmals beim Steinmetz um einen schönen Grabstein anfertigen zu lassen. Ich ließ noch ein Passfoto vergrößern. Das Bild sollte zur Trauerfeier neben die Urne gestellt werden. Ich bekam insgesamt ca. 70 Trauerkarten.

Lutz hätte am 06.11.2004 Klassentreffen gehabt. Er wollte so gerne hingehen, sprach schon mit vielen ehemaligen Mitschülern darüber und hatte seine Teilnahmegebühr schon bezahlt. Ich dachte lange darüber nach und fasste den Entschluss, der Klasse einen Brief zu schreiben. Ich gab den Brief in der Gaststätte ab, in der das Klassentreffen stattfinden sollte. In der gleichen Gaststätte sollte eine Woche später die Totenfeier sein.

Landschaft

Die Schwiegereltern mussten wieder nach Jena, hatten Termine. Ich bat darum, dass sie die Oma mitnahmen. Diese weinte und zitterte immer und wollte mich dabei umarmen. Ich konnte sie nicht trösten und sie konnte mir auch nicht helfen.

Ich kaufte mit etliche schwarze Sachen. Ich fand es sonst immer blöd, dass die Leute nach einem Todesfall schwarz gingen. Jetzt war mir aber selbst danach zumute.

Ich ging immer noch so gut es ging allen Leuten aus dem Weg. Ich konnte nicht arbeiten gehen, war froh, wenn eine Kollegin die Krankenscheine mitnahm. Ich ging in andere Kaufhallen als früher um keinen zu treffen.

Als der Termin der Beisetzung feststand (die Urne war zurück), druckte ich für alle Nachbarn eine Nachricht und teilte ihnen mit, dass jeder, dem es ein Bedürfnis ist, Lutz die letzte Ehre zu erweisen, zur Beisetzung willkommen ist. Ich warf die Zettel in die Briefkästen ein, um mit niemanden sprechen zu müssen. Familienangehörige und Freunde benachrichtigte ich telefonisch.

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